Presse Temple de la Raison

Temple de la Raison

 

Komplexes Verwirrspiel

Vielleicht liegt es ja an der schönen und großen Stadt Paris, dass die Karlsruher Fotografin Eva-Maria Lopez sich in die Französische Revolution verguckt hat. Oder zumindest in einen Teil davon, nämlich in den kurzlebigen „Kult der Vernunft“. Ihm und seinen möglichen Nachwirkungen hat sie ihre aktuelle großformatige Serie „Freiheitsberge – temple de la raison“ gewidmet. ....

Ein Vexierspiel. Da sieht man aus der Vogelperspektive auf in identische petrolfarbene Shirts gekleidete Jugend beim Stadtlauf. überblendet wird die belanglose Szene von einer Gloriole, wie man sie in barocken Kirchen findet: Licht fällt durch das Auge Gottes, in den plastisch ausgearbeiteten goldenen Strahlenkranz mischen sich Puttenköpfe und Körperteile der Läufer auf eine Weise, die nur schwer aufzudröseln ist. Was ist alt, was ist das Neue?

Genau das ist das Thema der in Karlsruhe und Paris lebenden Fotografin. Eva-Maria Lopez forscht nach den neuen Göttern und vermischt sie mit den alten. Hier die Spaßgesellschaft von heute, dort die 1793 in der Französischen Revolution zu „Tempeln der Vernunft“ profanierten Kirchen, in denen man – schon damals nicht unumstritten – einem bizarren Kult des „Höchsten Wesens“ frönte. Mit Blumen und Freiheitsbäumen geschmückte, durch Serpentinenwege erschlossene Erdhügel ersetzten den Hauptaltar, es gab kollektive Aufmärsche und viel (ziemlich schlechte) Musik. Ein Jahr später war der Spuk vorbei, die republikanische Deko verschwand, aus entweihten Gotteshäusern wurden wieder Kirchen.

Im Zeitalter einer zunehmenden Umwidmung nicht mehr gebrauchter Kirchen ist die Frage nach den neuen „Tempeln der Vernunft“, nach neuen Ritualen, Glaubenssätzen und gesellschaftlichen Übereinkünften mehr als berechtigt. Der mit der himmlischen Gloriole kollidierende Stadtlauf ist – so auch der Titel – eine Veranstaltung des Sportausstatters „Nike“, der sich hier mehr oder weniger unausgesprochen als Lieferant einer körperbetonten Ersatzreligion verortet findet.

Das klingt ziemlich platt, aber Eva-Maria Lopez’ Prinzip der Überlagerung und Durchdringung von profanen und sakralen Räumen ist so komplex ausformuliert, dass der Betrachter ziemlich viel Zeit investieren muss, um die Details zu erfassen. Da erscheinen intakte Kirchenräume als Ruinen, scheinen sich Heiligenfiguren und Altäre halluzinatorisch auf riesigen Sandhaufen abzubilden, verschwimmen die Realien in einem schier unentwirrbaren Konglomerat einander widersprechender Transparenzen. ...

Von Sigrid Feeser


Das Fest des höchsten Wesens

Eva-Maria Lopez  fotografisch an ein düsteres Kapitel der Französischen Revolution

Die Französische Revolution begann mit dem berühmten Aufruf zu Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit aller Menschen. Was häufig schnell vergessen wird, ist der große Terror, der kurz nach der Erstürmung der Bastille 1789 alle Teile Frankreichs (etwas weniger im Elsass und im Westen des Landes) überzog. Eine halbe Million Franzosen wanderten zwischen 1792 und Juli 1794 ins Gefängnis, 100.000 wurden ermordet. Erst der Tod Robespierres und seiner Mitspieler im Konvent am 28. Juli 1794 bedeutete das Ende des Terrors.

Natürlich zeugt eine solch extreme Schreckensherrschaft von den tiefen Rissen in der Gesellschaft, in der immer noch Sklaverei und Leibeigentum herrschten, was die einen als ihr von Gott gegebenes Recht betrachteten, die anderen als Verrat an der Revolution. Zu den besonders prägnanten Ereignissen dieser Zeit gehören die Entmachtung des katholischen Klerus, die mutwillige Zerstörung und Beschädigung zahlreicher Kirchen in Frankreich sowie die Umbenennung anderer in die sogenannten "Lieux du culte de l'Etre suprême" (kirchliche Einrichtungen des höchsten Wesens), das im allgemeinen Verständnis aber die Natur sein sollte, auch wenn einige Kirchen als "Temple de la Raison" (Tempel der Vernunft) oder "Temple de la Philosophie" benannt wurden.

 

Die Revolutionäre entfernten sämtliche Symbole der katholischen Religion, zerstörten Statuen und ließen stattdessen Erde am Platz des Hauptaltars anhäufen. Kurz nachdem im Herbst 1793 und Frühjahr 1794 das Fest der "Vernunft" und im Herbst das Fest des "höchsten Wesens" gefeiert wurden, begann dieses neue Glaubensbekenntnis zu erodieren, die republikanische Deutungsautorität, die keine Religion tolerierte, schwächte sich ab. 1796 mündete der Kult in den sogenannten Theophilantropismus, der 1803 verboten wurde.

Das höchste Wesen ist zurückzuführen auf die revolutionäre Forderung in der "Proklamation der Menschen- und Zivilrechte" aus dem Jahr 1789, in der die französische Nationalversammlung unter der "Anleitung des höchsten Wesen" ("sous les auspices de l'Être suprême") die Menschenrechtscharta proklamierte. Sie bleibt bis heute das Fundament der französischen Konstitution.
Es ist also eine spannende fotografische Ausstellung der zwischen Paris und Karlsruhe pendelnden Künstlerin Eva-Maria Lopez in der Mannheimer Galerie Gradel, die sich eben dieser "Temple de la Raison" fotografisch angenommen hat. In einer digitalisierten Collagetechnik erinnert sie an die Ereignisse der Jahre 1793 und 1794, als viele die neue Ordnung "ohne Gott" als die Endzeit der Menschen erlebten.

Eva-Maria Lopez hat an der Akademie der Bildenden Künste Bildhauerei und Grafik studiert. Seit zwei Jahren hat sie dort einen Lehrauftrag und beschäftigt sich mit den Problemen der Transformation - nicht nur mit der Verwandlung eines religiösen in ein säkulares Phänomen, sondern auch mit der nachdenkenswerten Frage, warum wir heutigen Bürger keine "Tempel der Vernunft" bauen.

Von Milan Chlumsky

Rhein-Neckar-Zeitung http://www.rnz.de



Vernunft und Freiheit vorgespiegelt

Vielleicht muss man seine Wurzeln in mehreren Kulturen haben, um für die Widersprüche moderner Existenz sensibel zu sein. Eva-Maria Lopez lebt in Karlsruhe (wo sie die Kunstakademie 2001 als Meisterschülerin verließ) und in Paris, wo sie 2010 Stipendiatin der Cité des Arts war. Ihr Name deutet auf iberische Herkunft, aber sie ist vernetzt mit der internationalen Berliner Künstlergruppe Paulschwarzlopez, deren Mitglieder mit dem Medium Fotografie arbeiten.

Lopez schaut mit einem Kamera-Auge auf die urbane Gegenwart mit all ihren Baustellen, Werbepostern und Menschenmassen, mit dem anderen zurück in die Geschichte und auf Orte von Ruhe, Selbstbesinnung, Lautlosigkeit: Kirchen, Gewächshäuser.

Unter dem Titel "Freiheitsberge - Temple de la raison" ruft sie in der Mannheimer Galerie Grandel eine Phase der Französischen Revolution ins Gedächtnis, als Kirchen entweiht und in Altarräumen Erdhügel aufgeschüttet wurden, um anstelle einer autoritären Glaubensinstitution die Natur als Gottheit zu etablieren.

Überlagerung von Ansichten

Was seinerzeit eine ebenso kurze wie radikale Beseitigung von Machtstrukturen war (beschränkt auf die Jahre 1793/94), mutet heute angesichts der Umweltzerstörung als freundlich und realitätsbezogen an. Lopez jedoch integrierte auf heimtückisch leise Art moderne Erdhügel, die als Aushub von Baustellen entstanden, in Aufnahmen historischer Kirchenräume in Paris. Die schemenhafte Überlagerung von Außenansichten, wo durch Menschengruppen, Werbung und Verkehr alles in Bewegung ist, und scheinbar "ewigen" Innenräumen, wirkt nachhaltig irritierend.

Da türmt sich der Erdaushub einer Baustelle zwischen den Stuhlreihen der Kirche, da läuft ein Werbeteam von Sportartikeln über Zebrastreifen, die den Strahlenkranz eines Gottesauges kreuzen. Durch zusätzliche Spiegelungen ergibt sich eine Dichte von Lebens- und Bedeutungsschichten, die den Betrachter vor Fragen stellen: Vernunft? Freiheit wozu? Zu unbegrenztem Shoppen? Für das Wachstum von Großkonzernen? Wo sind unsere Tempel der Vernunft? Oh je...

Von Christel Heybrock

Mannheimer Morgen: http://www.morgenweb.de



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